Dienstag, 3. April 2012

"Mitten ins Gesicht" von Kluun, Rezension


 Kluun, Mitten ins Gesicht

Rezension vom 12.03.2012
Meine Bewertung: 5 Sterne von 5 möglichen



" Ich habe mit 3,5 Promille einen Autounfall gebaut, weil ich wie ein Idiot gefahren bin, nachdem meine Frau mich angerufen hat, während ich mit einer Praktikantin und einer Ex - die übrigens auch eine Freundin meiner Frau ist - im Bett war, und das alles nur, weil ich mich früher am Abend gestritten habe mit meiner ausserehelichen Freundin, die ich trotz Versprechen an meine Frau, bis zu ihrem Tod nicht mehr fremdzugehen (sie hat nämlich Krebs und wird in absehbarer Zeit sterben) immer noch vögle."
"Mitten ins Gesicht" vom Autor Raymond van de Klundewrt, kurz Kluun ist ein Bestseller aus den Niederlande.
Raymond, geboren 1964 war mal sehr erfolgreich als Marketingmensch, hatte eine eigene Firma und arbeitete auch für andere
grosse Werbeagenturen. Bis er 2001 seine damals 36ig - jährige Frau verlor. Er änderte sein Leben radikal, ging nach Australien und begann an diesem Buch zu arbeiten.
Es handelt von einem jungen Ehepaar, Mitte 30, mit einjähriger Tochter. Die Frau Carmen bemerkt eine Veränderung in ihrer Brust, Ärzte wiegeln ab, es sei harmlos. Ein halbes Jahr später ist es nicht mehr harmlos, es ist infaust. Carmen leidet an einem extrem aggressiven, entzündlichen Mammatumor, der nur schwer behandelbar, eigentlich überhaupt nicht heilbar ist.
Der Ehemann Stijn schreibt aus seiner Sicht die Leidenszeit seiner Frau über 3 Jahre, das Auf- und- Ab, die Reaktionen der Freunde und der Familie, die nach dem ersten Überleben und der ersten Operation die Krebserkrankung nicht mehr ernst nehmen, die Schwierigkeiten mit Kleinkind eine solche Situation zu meistern, wissend, dass man Abschied nehmen muss, dass jedes "Anspringen" einer Chemo nur ein Aufschub ist, dass die Lebenszeit abgelaufen ist.
Stijn ist, wie seine Frau, ein hart arbeitender Mann, umgeben von vielen Geschäftsfreunden, immer auf Achse, immer auf allen Partys am Abfeiern. Nie treu, das Fremdgehen immer als zusätzlichen Reiz, denn er gehört zu den Männern der monophoben Art, wie er es bezeichnet.
Fremdgehen, nicht wegen des Sex, sondern aus Angst vor der Eintönigkeit der Ehe, der Angst, anderswo etwas zu verpassen.
Carmen hat ihn einmal erwischt und ihn gebeten, sich nie wieder erwischen zu lassen, aber sie ahnt, dass ihr Mann die Finger nicht von anderen Frauen lassen kann, ob von Praktikantinnen, ehemaligen Freundinnen oder One-night-stands nach dem Feiern.
Mit Beginn der Chemotherapien erstirbt bei Carmen der Sexualtrieb völlig.
Und Stijn dreht buchstäblich durch, war es früher ab und zu mal ein Seitensprung, so wird jetzt auf Biegen und Brechen alles berammelt, was geht, auch mehrere Frauen gleichzeitig, Alkohol und Drogen werden zusätzlich zum Freund.
Kompensation der Ängste eines Mannes seine Frau zu verlieren? Panik vor der Auseinandersetzung mit dem Tod? Unfähigkeit des Angetrauten mit den Fakten klarzukommen?
Mich hat dieses Buch völlig in den Bann gezogen. Leicht zu lesen, sehr kurze Kapitel, aber oft mit reichlich Inhalt zum Nachdenken:
"Carmen kann ihrem Leben keine Tage hinzufügen, deshalb fügt sie ihren Tagen Leben hinzu."
Das Buch ist ein dramatischer Bericht, kein Anprangern in dem Sinne, kein Verzweifeln, keine Abbitte oder Entschuldigung, sondern -davon gehe ich aus- eine Verarbeitung eines Druckes über 3 Jahre und ein Zeugnis der Liebe, ein Appell an die Tochter, aber auch an uns alle:
"Danach (nach Carmens Zeit als Aupair Mädchen in London) bin ich auf Weltreise gegangen. Viele Leute sagen mir, sie hätten das auch gerne gemacht, aber es habe sich nicht ergeben. Luna (die Tochter), es gibt oft hundert Gründe, etwas nicht zu tun, aber genau dieser eine Grund, es doch zu tun, sollte schon genügen. Es wäre doch traurig, wenn man die Dinge, die man nicht verwirklicht hat, bedauern muss, denn nur aus dem, was man in die Tat umsetzt, kann man was lernen." (Auszug aus einem Brief von Carmen an ihre dreijährige Tochter, wenige Wochen vor ihrem Tod).
Es hat mich sehr berührt. So viel Humor und Komik, so viele schönen Episoden in einem solch endlosen, aussichtslosen Kampf!
Und zusätzlich eine Diskussionsgrundlage zum Thema Sterbehilfe, die in den Niederlanden ja vollkommen anders aufgefasst wird als hierzulande.

  • Taschenbuch: 368 Seiten
  • Verlag: Fischer Taschenbuch Verlag; Auflage: 3 (20. Juni 2007)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3596169119
  • ISBN-13: 978-3596169115
  • Größe und/oder Gewicht: 18,8 x 12,4 x 2,2 cm

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